Um mit der Digitalisierung und ihren Herausforderungen umzugehen, müssen junge Menschen mit technischem Know How und sozialen Kompetenzen auf den Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Das ist der Vorschlag von Alessandro Rosina, Experte für Übergangsmaßnahmen von Schule in den Beruf, und Michael Heister, Abteilungsleiter des deutschen Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Beide sind zu Gast bei der von StartNet organisierten Veranstaltung am 19. März, im Rahmen der Didacta Italia 2021.
 

Von Gaia Fiedler

Italien fehlt es an digitalen Fähigkeiten und technischen Kompetenzen für viele angesehene Berufe. Doch die Jugendarbeitslosigkeit und der Anteil der NEETs, also junge Menschen zwischen 15 und 29 Jahren, die weder zur Schule gehen noch eine Ausbildung machen oder arbeiten, gehören zu den schlechtesten in Europa mit 24%. Dies weist auf ein Bildungssystem hin, das den neuen Marktanforderungen nicht gerecht wird. Außerdem nehmen die Ungleichheiten beim Zugang zu Bildung durch Fernunterricht und die deutliche Unterbrechung der Einstellungen zu. Alessandro Rosina ist Professor für Demographie an der Katholischen Universität Mailand und Gast des StartNet Italia-Treffens auf der Didacta am 19. März. Er schlägt einen Kurswechsel vor, um die italienischen Rückstände zu überwinden, hin zu einem neuen Bildungsmodell und der systematischen Einbindung aller Akteure in den Prozess des Übergangs von Schule ins Berufsleben.

Herausforderungen für das Bildungssystem

Der heutige Arbeitsmarkt erfordert fundierte technische Kompetenzen, aber auch Problemlösungsvermögen, Flexibilität, Kreativität und Unternehmergeist. Wie können wir junge Menschen dazu bringen, sich zu engagieren und Lösungen zu finden, in einer Welt mit immer neuen Herausforderungen? "Zuallererst muss die Lehrmethodik geändert werden, mit einem mehr praxisgestützten und experimentellen Ansatz, bei dem das Lernen auch durch Tun, durch Fehler und erneutes Probieren erfolgt. Aber vorher ist es wichtig, den anthropologischen Wandel zu verstehen, der sich gerade abspielt: Junge Menschen haben heute andere Sichtweisen, Werte, Verhaltensweisen und Lernmethoden wie jene von vor 15 Jahren. Sie wollen aktiv miteinbezogen werden und eine führende Rolle spielen, aber sie sind schnell demotiviert, wenn sie von ihren Lehrerinnen und Lehrer in ihrem Selbstvertrauen nicht bestärkt werden und keine positiven Beispiele durch Gleichaltrige erhalten", erklärt Rosina.

Der Wert von Erfahrungen im Netzwerk

Ein weiteres notwendiges Instrument ist das Zusammenbringen von Erfahrungen in den unterschiedlichen Gebieten. Dies ist wichtig, um passende Methoden effizient auszutauschen und im Vorfeld alle Beteiligten, von den Schulen bis zu den Unternehmen und Arbeitsämtern, effektiv zu vereinen. Große Hoffnungen ruhen zum Beispiel auf dem System der sog. ITS (Istituti Tecnici Superiori), die italienische Variante einer tertiären Berufsausbildung nach dem Vorbild der deutschen Fachhochschulen, denn diese Methode scheint zu funktionieren. Die innovativsten Erfahrungen werden von Betriebslehrern in diesen zweijährigen Kursen nach dem Abitur vermittelt und bieten jungen Menschen fortgeschrittene technische Fähigkeiten mit einer Vermittlungsquote von über 90 % in den meist gefragten Bereichen Mechatronik und IKT.

Das deutsche Modell setzt auf digitale Lösungen

Das Modell der dualen Berufsausbildung in Deutschland ist seit Jahrzehnten etabliert, doch in jüngster Zeit steht auch dies vor neuen Herausforderungen. "Bis vor 20 Jahren war eine dreijährige, von einem Unternehmen bezahlt, Lehre, parallel zur Ausbildung in den Berufsschulen, der Hauptweg in die Arbeitswelt, und die Menschen begannen früh, ab 14 Jahre. Heute ist das ganz anders", sagt Michael Heister, Leiter der Abteilung "Initiativen für die Berufsbildung" im BIBB. Heute geht jeder Zweite aufs Gymnasium, die andere Hälfte besucht andere Schulen und nur 30 % gehen in eine duale Berufsausbildung. Alle anderen beginnen zu arbeiten oder schreiben sich an der Universität ein. "Bei dem Bedarf an fachlichen und digitalen Kompetenzen stellen die Unternehmen bevorzugt Bachelorabsolventen der Fachhochschulen ein, die ein neun- bis zehnmonatiges Praktikum gemacht haben", erklärt Heister. Das deutsche Berufsorientierungssystem hilft jungen Menschen, ihre Stärken zu entdecken und unterstützt sie während ihrer Ausbildungszeit. Ziel ist es, den frühzeitigen Schulabbruch (10% in Deutschland) und das Phänomen der NEETs (15%) zu bekämpfen. Nun besteht auch für sie die Herausforderung darin, auch in den Berufsschulen auf digitale Inhalte zu setzen und zeitgemäßere Methoden einzuführen. "Es ist schwierig, Fernunterricht über praktische Tätigkeiten zu machen, aber die virtuelle Umgebung ermöglicht es, Bewegungen und Handlungen realistisch darzustellen, verlangt aber hohe Investitionen. Wir stehen erst am Anfang eines Prozesses, der eine hohe Dynamik besitzt. Die Schulen in Deutschland waren, genauso wie in Italien, nicht vorbereitet auf den Fernunterricht aufgrund der gesetzlichen Vorgaben zum Datenschutz von Minderjährigen. Angesichts der Initiativen, die durch den Notfall auferlegt wurden, werden die Regeln angepasst werden müssen. „Sicherlich werden wir noch in diesem Jahr die Möglichkeit des Home Office auf die Auszubildenden in den Büros ausweiten", so Heister abschließend.

Autorin

Gaia Fiedler arbeitet als freiberufliche Journalistin und verfolgt den digitalen Wandel von Unternehmen und seine Auswirkungen auf Ausbildung, neue Berufe und Unternehmensführung. Sie ist tätig für Websiten und Magazine mit den Schwerpunkten HR und Industrie 4.0.

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