Online-Symposium des StartNet Europe Netzwerks über die Zukunft von Arbeit und Bildung mit Andreas Schleicher von der OECD im Sommer 2021
Technologien, Arbeitsgewohnheiten und Arbeitsplätze scheinen sich immer schneller zu verändern. Besonders deutlich wurde dies während der COVID-19-Pandemie, welche die Digitalisierung, den Online-Konsum sowie das digitale berufliche und soziale Leben vorantreibt.
Während wir manchmal Mühe haben, mit dem raschen Wandel Schritt zu halten, stellt sich für Bildungsakteure die Frage, wie der Arbeitsmarkt der Zukunft aussehen wird. Wie werden sich die Arbeitsplätze und die erforderlichen Qualifikationen entwickeln und wie kann Bildung die Menschen am besten auf das Arbeiten und Leben in der Zukunft vorbereiten?
Im Sommer 2021 waren diese Fragen der Ausgangspunkt des Symposiums des StartNet Europa Netzwerks, das 17 Bildungsinitiativen aus 12 Ländern für den Übergang junger Menschen ins Berufsleben versammelte.
Eine Präsentation von Andreas Schleicher, Direktor für Bildung und Kompetenzen bei der OECD, bildete den Rahmen für die Veranstaltung. Er schilderte die wichtigsten Trends, die unser (Arbeits-)Leben beeinflussen, sowie die Herausforderungen, die sich daraus für die Bildungssysteme ergeben. Sie können sich das gesamte Video hier ansehen und die Hauptaussagen unten lesen.
Automatisierung und Digitalisierung
Angetrieben durch Innovation entwickeln sich Geschäftsmodelle, Arbeitsmärkte und Arbeitsplätze ständig weiter. Die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung erfordern andere Qualifikationen. Routineaufgaben fallen weg und der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) wird immer häufiger. Künstliche Intelligenz ist zwar kein völlig neues Phänomen, aber verstärkt diesen Trend.
Infolgedessen benötigen Menschen immer mehr digitale Kenntnisse. Junge Menschen verfügen bereits über bessere digitale Fähigkeiten als andere Altersgruppen, aber noch immer kann weniger als die Hälfte von ihnen mit komplexen digitalen Informationen umgehen. „Digital Natives“ zu sein, bedeutet also nicht automatisch ausreichende digitale Kompetenz zu besitzen.
Außerdem sind digitale Fähigkeiten nicht nur eine technologische Kompetenz, wie z. B. das Programmieren, sondern sie beruhen auf bestimmten Metakompetenzen. "Wir müssen aufhören, Roboter zweiter Klasse auszubilden. Die besten digitalen Fähigkeiten entwickelt man, indem man den Menschen hilft, selbst zu denken und mit anderen zusammenzuarbeiten", sagt Schleicher. Die Bildung muss sich mehr auf die Vermittlung wirklich menschlicher Fähigkeiten konzentrieren, wie etwa Kreativität und Unternehmergeist. Eine entwicklungsorientierte Denkweise ist der Schlüssel, der Mut, etwas auszuprobieren und aus Fehlern zu lernen und keine Angst vor Fehlern zu haben.
Transformative Kompetenzen für die Zukunft sind diejenigen, die neue Werte schaffen. Im Gegensatz zur künstlichen Intelligenz geht es bei der menschlichen Intelligenz auch darum, Verantwortung zu übernehmen oder mit Mehrdeutigkeit umzugehen. Der Wachstumsgedanke ist Kindern angeboren, geht aber oft durch Lernumgebungen verloren, die sie entmutigen, sanktionieren und einschränken, was zu einer festgefahrenen Denkweise führt, dass sie nichts ändern können. Stattdessen sollten Lernumgebungen Raum für Experimente und Ausdrucksmöglichkeiten schaffen, damit sie lernen, Schwierigkeiten zu überwinden.
Kontinuierliche Berufsberatung und frühzeitiges Eingreifen
Zwischen 30 % und 50 % der jungen Menschen suchen Arbeitsplätze, die es bald nicht mehr geben wird. Die meisten jungen Menschen streben nur sehr wenige Berufe an, während der Arbeitsmarkt immer vielfältiger wird. Daher ist eine kontinuierliche Orientierung erforderlich, um den Ausblick der jungen Menschen zu erweitern. "Der Übergang ins Berufsleben beginnt bereits in der Grundschule."
Die wirksamste Berufsberatung beginnt so früh wie möglich, nicht erst vor dem Schulabschluss. Darüber hinaus sind Lehrer zwar oft gefragt, Beratung anzubieten, aber selten gut darauf vorbereitet.
Eine wirksame Lösung beruht auf der Zusammenarbeit mit der Arbeitswelt. Praktika, berufsbezogenes Lernen und die Einbeziehung von Arbeitnehmern in die Schulen ermöglichen es, jungen Menschen ein besseres und realistischeres Verständnis des Arbeitsmarktes und ihres potenziellen Platzes auf diesem Markt zu vermitteln.
Soziale Inklusion
Qualitativ hochwertige Bildung ist auch eine Frage der Finanzierung. Wer bezahlt das Lernen außerhalb der Arbeit, die Vorbereitung auf den nächsten Arbeitsplatz? Wie können alle Bürger von solchen Angeboten profitieren, auch benachteiligte Gruppen?
Das Bildungswesen wird allzu oft von einem Einheitsansatz beherrscht, der von Privilegierten auf ihre eigenen Bedürfnisse zugeschnitten ist, die dann überrascht sind, wenn das System für andere zu kurz greift. Das Lernen muss auf die Lernstile der Lernenden abgestimmt und für alle Arten von Gruppen und Einzelpersonen relevanter werden. Darüber hinaus bieten die Digitalisierung und das Online-Lernen ein großes Potenzial, um der Vielfalt Rechnung zu tragen und besseres Lernen für alle zu ermöglichen.
Bildung ist nach wie vor der Schlüssel zur Integration und zum sozialen Aufstieg. "Wenn du aus einem benachteiligten Umfeld kommst, gibt es nur eine einzige Tür in deinem Leben, eine einzige Karte, die du ausspielen kannst, und das sind ein guter Lehrer und eine gute Schule."
Lebenslanges Lernen und Bildungsökosysteme
Die meisten Schulen repräsentieren immer noch das Bildungsmodell des 20. Jahrhunderts. Die so genannten Fähigkeiten des 21. Jahrhunderts werden jedoch früher im Leben, vor und außerhalb der Schule erworben. Einfühlungsvermögen, Neugierde, Mut und Führungsqualitäten z.B. sind in den derzeitigen Bildungssystemen nur schwer zu erwerben. Vorhandene Kompetenzunterschiede werden durch die formale Bildung eher verstärkt als angeglichen.
Während die Verbindung zwischen dem formalen Bildungssystem und der Arbeitswelt abnimmt, gewinnt das informelle und nicht-formale Lernen außerhalb von etablierten Institutionen und durch alternative Bildungsanbieter immer mehr an Bedeutung. So genannte „Micro-Credentials“ werden es ermöglichen, Fähigkeiten, die in verschiedenen Umgebungen erworben wurden, auf einer kleinteiligeren Ebene anzuerkennen und den Lernenden mehr Eigenverantwortung dafür zu geben, was, wann und wie sie lernen. Selbstbestimmtes und berufsbezogenes Lernen wird sich gegenüber teuren Universitätsdiplomen durchsetzen, die nicht widerspiegeln, was die Menschen tatsächlich können.
"Ein Bildungssystem aller Akteure wird das künftige Umfeld für lebenslanges Lernen sein". Das Lernen wird kontinuierlicher, individueller und selbstgesteuerter werden. In dieser Logik sollten die Zivilgesellschaft und die Lernenden in die Gestaltung der Lehrpläne einbezogen werden. Sie sollten mitbestimmen können, was gutes Lernen ausmacht, und sie sollten über die Festlegung von Standards und die Zertifizierung mitentscheiden.
Zusammenarbeit mit Unternehmen und Kompetenzerwartung
Unternehmen spielen eine entscheidende Rolle im Bildungssystem. Sie sind Partner für den Übergang junger Menschen ins Berufsleben. Obwohl es schwierig sein kann, mit einem Unternehmen als Ganzes zusammenzuarbeiten, können einzelne Mitarbeiter leichter gewonnen werden. Ein Beispiel sind Arbeitnehmer, die in die Schule kommen, um über ihre Arbeit zu berichten, und die ein viel realistischeres und aufschlussreicheres Bild des Arbeitsmarktes vermitteln können. Das Matching kann über eine entsprechende Website erfolgen.
Eine andere Frage ist, ob wir in der Lage sind, junge Menschen nicht nur auf die heutigen Gegebenheiten vorzubereiten, sondern auch auf künftige Veränderungen. Unternehmen können sehr hilfreich sein, wenn es darum geht, auf Fähigkeiten hinzuweisen, die derzeit auf dem Arbeitsmarkt benötigt werden. Allerdings können sie die Zukunft nicht wirklich vorhersagen. Daher erweist es sich als effektiver, ein breiteres Spektrum an Fähigkeiten für verschiedene Zukunftsszenarien zu entwickeln.
Letztlich gibt es auch Auswirkungen von der Bildung auf die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. "Die Zukunft der Kompetenzen ist die Zukunft der Arbeit", sagt Herr Schleicher. Die Ausbildung und Befähigung junger Menschen für eine bessere Zukunft wird sich auch darauf auswirken, wie sich die Arbeitswelt entwickeln wird. In diesem Sinne werden "grüne" Qualifikationen von entscheidender Bedeutung sein, um einen grünen Übergang zu einer nachhaltigen Entwicklung zu erreichen.
Vom Wissen zur Praxis
Dieser allgemeine Kontext der Zukunft der Arbeit muss noch übersetzt und von verschiedenen Bildungseinrichtungen und Akteuren, die in diesem Bereich tätig sind, interpretiert werden. Im Anschluss an die Analyse der OECD haben die Partner von StartNet Europe im Rahmen des Symposiums in Arbeitsgruppen darüber diskutiert, wie dieses Wissen in ganz Europa in die Praxis umgesetzt werden kann.
Es gibt verschiedene Beispiele dafür, wie unterschiedliche Bildungsakteure auf lokaler oder regionaler Ebene zusammenarbeiten, um Bildungssysteme zu schaffen, die den Übergang aller jungen Menschen ins Berufsleben und die Zukunft der Arbeit unterstützen:
- Aliseo Liguria führt erfolgreich groß angelegte Orientierungsaktivitäten durch, die die Arbeitswelt und die Schulen miteinander verbinden, indem sie Fachleute in die Klassenzimmer bringen, um ihre Erfahrungen zu teilen und die Schüler zu inspirieren.
- Frühzeitige Orientierung ist das Ziel des Erasmus+ Projekts "Skills for Life". Es unterstützt Lehrkräfte und anderes Bildungspersonal dabei, junge Menschen durch lebensgestalterische Fähigkeiten zu befähigen.
- Ein weiteres in Vorbereitung befindliches Erasmus+ Projekt plant, Schüler der Sekundarstufe beim Übergang ins Berufsleben zu unterstützen. Das von der Fundación Santa Maria la Real geleitete Konsortium von StartNet Europe-Partnern will die Kluft zwischen Bildung und Arbeitsmarkt überbrücken, indem es Interessengruppen einbindet, Orientierung bietet und Fähigkeiten für die Zukunft vermittelt.
- Die Fundación Secretariado Gitano in Spanien hat unter anderem ein digitales Lernprogramm "#empleando digital" entwickelt, das junge Roma in Spanien mit den digitalen Fähigkeiten für den Arbeitsmarkt der Zukunft ausstatten und so sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt ermöglichen soll.
- Cometa Formazione in Italien konzentriert sich auf inklusive Exzellenz, die Stärkung junger Menschen durch die Entwicklung von Fähigkeiten und die Überwindung ihrer Schwachstellen. Sie nehmen die COVID-19-Pandemie zum Anlass, ihre Berufsbildungsprogramme weiter zu erneuern.
- StartNet in Italien hat eine gründliche Potenzialanalyse der Zukunftsaussichten der Region Apulien durchgeführt, die als Grundlage für ihre Arbeit und für die Beratung von Lehrern, Schülern und Eltern dient. Spezielle Programme zielen darauf ab, Bildungsarmut zu verhindern und in Zusammenarbeit mit lokalen Bildungsakteuren, einschließlich der Familien, wesentliche Kompetenzen für das 21. Jahrhundert zu vermitteln.
- Scoala de Valori in Rumänien verfügt über ein umfangreiches Portfolio an Bildungsprojekten zur Vermittlung von Kompetenzen für die Zukunft. Eine jüngste Innovation im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie war der Karrierebus, mit dem auf die Herausforderungen der eingeschränkten Mobilität reagiert und ein größeres Gebiet erreicht wird.
- Tracé Brüssel bringt Arbeitgeber, öffentliche Arbeitsverwaltungen, regionale Regierungen und Verwaltungen zusammen zu speziellen Seminaren über die Zukunft der Arbeit. In Zusammenarbeit mit den öffentlichen Arbeitsverwaltungen, Arbeitgebern und Gewerkschaften wird derzeit ein E-Learning-Programm für die Sekundarstufe über die Zukunft des Studiums und der Arbeitsmöglichkeiten entwickelt.
- Unter den von KOST Tirol vorgestellten Berufsangeboten ist insbesondere die Lehrlingsausbildung hervorzuheben. Das Programm hat die Zusammenarbeit von Studierenden der Universität Innsbruck mit großen privaten Unternehmen vorgestellt, um interkulturelle Aspekte, Gamification oder Social Media einzubeziehen und so attraktivere, passendere und zukunftssichere Erfahrungen in das Ausbildungsprogramm zu integrieren.
- Mit ihrer Projektpartnerschaft "Balkan Green Ideas" konzentriert sich ARNO in Nordmazedonien auf den Aspekt der Nachhaltigkeit und insbesondere auf grüne Kompetenzen für die Zukunft. Dieser regionale Wettbewerb prämiert innovative, grüne Ideen, die lokale Ressourcen nutzen und traditionelle Produktionsketten und gemeindebasierte Märkte wiederbeleben.
- Wissen am Werk (Znanje na djelu) aus Kroatien führt sein Online-Dialogprogramm KARIJEROTEKA für Jugendliche mit inspirierenden Menschen aus der Arbeitswelt durch, das sich insbesondere auf die grüne Wirtschaft und die Ziele für nachhaltige Entwicklung konzentriert.
- Die Stadt Mannheim verknüpft die Entwicklung eines regionalen MINT-Clusters mit bestehenden Beratungsangeboten am Übergang von der Schule zum Beruf. Auf diese Weise werden benachteiligte Jugendliche an eine MINT-Ausbildung herangeführt, der Zugang zu MINT-Berufen und -Karrieren wird unterstützt.
Dies sind nur einige Beispiele für zukunftsweisende Initiativen in ganz Europa, die einen Beitrag zur Zukunft der Bildung leisten. Es muss noch viel mehr geschehen, um ähnliche Praktiken miteinander zu verbinden und zu verbessern, damit die Bildungssysteme in Europa wirklich zukunftsfähig werden und alle jungen Menschen die Fähigkeiten erwerben können, die sie brauchen, um auf diesem Weg erfolgreich zu sein.